Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD, AGS:

Für eine soziale, nachhaltige und ökologische Wirtschaft

Deutschland braucht eine neue Gründungspolitik

Veröffentlicht am 20.07.2014 in Arbeit und Wirtschaft

Mehr Lust- statt Frustgründungen – Deutschland braucht eine neue Gründungspolitik

Von Christian Flisek MdB, Beauftragter für Existenzgründungen der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzender der AGS

Deutschland befindet sich gegenwärtig in einer stabilen wirtschaftlichen Phase. Die deutsche Wirtschaft hat die Finanz- und Währungskrise der letzten Jahre wesentlich besser und schneller bewältigt als vergleichbare Volkswirtschaften in Europa. Fragt man Ö̈konomen nach den Gründen für diese Erfolgsgeschichte, erhält man immer wieder die gleiche Antwort: Der deutsche Mittelstand!

Für die Große Koalition ist der Regierungsauftrag daher klar: Wenn wir in Zukunft Arbeitsplätze und Wohlstand in Deutschland sichern wollen, dann müssen wir den deutschen Mittelstand erhalten. Ein zentraler Punkt des Koalitionsvertrages lautet: „Die Existenzgründer von heute sind der Mittelstand von morgen. Deshalb wollen wir Existenzgründer fördern.“ Natürlich mündet nicht jede Existenzgründung in ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen. Aber ohne Gründungen wird es den Mittelstand in Deutschland langfristig nicht geben.

Mehr Lust statt Frust – Gründungszahlen sind ermutigend

Laut jüngstem Gründungsmonitor der Kreditanstalt für Wiederaufbau haben 2013 insgesamt 868.000 Menschen eine selbständige Tätigkeit aufgenommen. Das ist ein Plus von zwölf Prozent. Allerdings muss man genau hinsehen. Der Anstieg beruht allein auf einer Zunahme der Nebenerwerbsgründungen. Die Zahl der Vollerwerbsgründer ist nahezu konstant geblieben. Den Grund für diese Entwicklung sehen die Forscher in der stabilen Arbeitsmarktlage, das heißt der Druck, sich im Vollerwerb selbständig zu machen, ist gegenwärtig gering. Dennoch bleibt die Zunahme bei den Nebenerwerbsgründungen ein positives Zeichen, weil Nebenerwerbsgründungen häufig ein Weg in die Vollerwerbsselbständigkeit sind.

Maßnahmenbündel im Koalitionsvertrag geschnürt

Das muss auch das Ziel unserer neuen Gründungspolitik sein. Zahlen alleine schaffen keine Arbeitsplätze. Was wir für Deutschland brauchen, sind Ideen und Produkte, die auf den globalen Märkten wettbewerbsfähig sind. Die Große Koalition hat deshalb im Koalitionsvertrag ein ganzes Bündel von Maßnahmen geschnürt: Sie reichen von der zielgerichteten Förderung des bewährten Gründer-Coachings über den Abbau von bürokratischen Hürden bis hin zur Förderung der Gründung von Genossenschaften. So werden wir den Genossenschaften die Möglichkeit der Finanzierung von Investitionen durch Mitgliederdarlehen wieder eröffnen. Ein Schwerpunkt unserer Gründungspolitik wird sein, die Attraktivität von Beteiligungsinvestitionen zu erhöhen. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass in Deutschland gute staatliche Förderinstrumente für die Frühphasenfinanzierung vorhanden sind, die auch entsprechend fortgesetzt werden sollen. Wesentlich schwieriger ist für junge Unternehmen jedoch die Finanzierung ihrer Wachstumsphase. In dieser Phase entscheidet es sich, ob aus einer guten Idee ein global agierendes Unternehmen wird oder nicht. Wir wollen daher mit einem Venture Capital-Gesetz die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen für Wagniskapital international wettbewerbsfähig gestalten und Deutschland als Fondsstandort wieder attraktiv machen. Auch neue Finanzierungsformen wie Crowd-funding („Schwarmfinanzierung“) brauchen einen entsprechenden Rechtsrahmen.

Neuer Gründergeist notwendig

Unabä̈ngig von konkreten Einzelmaßnahmen werden wir ein nachhaltig hohes Niveau des Gründungsgeschehens jedoch nur erreichen, wenn es uns gelingt, in Deutschland einen Mentalitätswandel anzustoßen. Eine neue Gründerkultur setzt einen neuen Gründergeist voraus. Selbständigkeit bedeutet große persönliche Freiheit und die Verwirklichung der eigenen Ideen. Selbständigkeit ist daher nicht nur ein Karriereweg von vielen, sondern auch eine Lebenseinstellung – eine Haltung. Aber natürlich bedeutet Selbständigkeit nicht nur die Umsetzung eigener Ziele und Wünsche, sondern auch die Übernahme von Verantwortung und nicht zuletzt meist auch eines erheblichen finanziellen Risikos.

Damit sich in Deutschland zukünftig wieder mehr Menschen für einen solchen Weg entscheiden, sind eine höhere gesellschaftliche Anerkennung der Leistungen von Selbständigen und Unternehmern und ein konstruktiverer Umgang mit dem Scheitern notwendig. Eine misslungene Unternehmensgründung darf nicht länger dazu führen, dass man als Versager abgestempelt wird. Ganz im Gegenteil: Bekanntermaßen lernt man aus Niederlagen. Wer könnte also für eine Gründung besser geeignet sein als jemand, der schon weiß, was man besser machen kann. Wir brauchen daher eine Kultur der zweiten und dritten Chance, die sich auch in der Ausgestaltung unseres Förderwesens niederschlagen muss.

An Schulen und Universitäten beginnen

Vor allem müssen wir bei den jungen Menschen ansetzen. Wenn sich gegenwärtig nur acht Prozent eines Schuljahrgangs für ihr späteres Berufsleben eine Selbständigkeit vorstellen können, dann ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass hier erheblicher Handlungsbedarf besteht. Zudem sind die Zahlen der Hochschulausgündungen im internationalen Vergleich immer noch zu gering. Gerade mit Blick auf High-Tech- Gründungen liegt hier noch viel Potential brach, das wir in Zukunft nutzen wollen. So sollte man durchaus darüber nachdenken, ob es an deut- schen Hochschulen nicht so etwas wie eine „Gründerzeit“ geben kann. In dieser Zeit könnten die Studierenden die Möglichkeit erhalten, ihre Kreativität und ihr Wissen in marktfähige Produkte und Dienstleistungen umzusetzen. Wer schon während des Studiums ein eigenes Unternehmen gründet, der wird sich nach seinem Abschluss nicht nach einem vermeintlich sicheren Arbeitsplatz bei einem großen Unternehmen sehnen. Es ist also Kreativität und Mut gefragt – auch auf Seiten der Politik – um auch in Zukunft Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten. Mit unserer neuen Gründungspolitik sind wir auf einem guten Weg.

 

Veröffentlicht in: „der freieBeruf“, Ausg.  5-6|2014