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Auf Umwegen ins Handwerk

Veröffentlicht am 24.02.2023 in Arbeit und Wirtschaft

„Next Carrer” und “Switch”:

Eine Chance für das Handwerk und Studienabbrecher

Zu hoher Leistungsdruck oder zu wenig Praxis. Mit „Switch“ können Studienabbrecher in der Region neue Ziele finden.

Auf Umwegen ins Handwerk

 

"Abiturienten entscheiden sich nur selten für eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb. Mit speziellen Beratungsangeboten für Studienabbrecher sollen diese aber doch noch fürs Handwerk gewonnen werden".

 

Aus: AN AZ 24.02.2023 VON RABEA GRUBER UND GEORG MÜLLER-SIECZKAREK

AACHEN Große Höhen und mitunter schlechtes Wetter: Zum Arbeitsalltag von Christian Hinz gehört beides dazu. Der 31-Jährige ist Gerüstbaumeister. „Ich war schon immer hibbelig und gern draußen“, erzählt er. „Den ganzen Tag im Büro zu sitzen, das wäre nichts für mich.“

Mit seinen Kollegen baut Hinz gerade ein Fassadengerüst in einem Bochumer Gewerbegebiet ab. Baustellen wie diese sind seit zehn Jahren sein Arbeitsplatz. Reiner Zufall – denn eigentlich wollte er Lehrer werden, hatte ein Studium in Sport und Sozialwissenschaften begonnen. Zum Gerüstbau kam er als Aushilfe in den Semesterferien und war sofort begeistert. „Es ist Lego für große Jungs“, erzählt er. Schließlich brach er das Studium ganz fürs Handwerk ab. Quereinsteiger wie Hinz sind für das Handwerk eine wichtige Zielgruppe.

Abiturienten entscheiden sich nur selten für eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb. Mit speziellen Beratungsangeboten für Studienabbrecher sollen diese aber doch noch fürs Handwerk gewonnen werden. Ein Umstieg bringe viele Vorteile: Wer ein Abitur oder Fachabitur mitbringt, könne seine Ausbildung um bis zu ein Jahr verkürzen. „Unter Umständen kann zusätzlich die Abschlussprüfung um ein halbes Jahr vorgezogen werden“, erklärt Philipp Kaczmarek von der Handwerkskammer Dortmund. In überschneidenden Fächern sei gegebenenfalls auch die Anrechnung von Inhalten möglich. „Aber das Handwerk lebt eben auch vom Praktischen“, sagt Kaczmarek weiter.

Genaue Zahlen gibt es nicht

Wie sich Studierende nach einer Beratung letztlich entscheiden, ist allerdings kaum nachzuverfolgen. Konkrete Zahlen zu Ausbildungsvermittlungen könnten dadurch von den Handwerkskammern nicht erhoben werden. Auch für die Universitäten sind die Karrierewege ihrer Studierenden nicht eindeutig nachvollziehbar. Ob ein Student nach einer Exmatrikulation an eine andere Hochschule wechselt, eine Ausbildung beginnt oder ohne Abschluss in einen Beruf einsteigt, wird nirgendwo erfasst.

Fest steht allerdings: Knapp ein Drittel aller Studierenden in Deutschland beendet das Studium ohne Abschluss. Die Zahlen dazu erhebt das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), zuletzt wurden 2022 neue Ergebnisse vorgestellt. 28 Prozent der Bachelor-Studierenden brechen demnach vorzeitig ab, bei den Master-Studierenden sind es 21 Prozent.

Für NRW hat das DZHW Studienabbrecher zu ihren Beweggründen befragt. In der 2021 veröffentlichten Studie gaben die Befragten an, Gründe für Studienzweifel seien vor allem Leistungsdruck und mangelndes Interesse am Studienfach, aber auch finanzielle oder familiäre Schwierigkeiten gewesen. Auch der Wunsch nach praktischer Arbeit wurde als Grund genannt.

Unter dem Projekttitel „Next Career“ fördert das Ministerium für Kultur und Wissenschaft Beratungsangebote an 20 NRW-Hochschulen sowie die überregionalen „Thementage Studienzweifel“. In der Region mit ihren rund 60.000 Studenten gibt es seit Jahren „Switch“ – ein gemeinsames Angebot der Handwerkskammer Aachen, der Industrie- und Handelskammer Aachen, der Stadt Aachen, der Bundesagentur für Arbeit und zahlreicher regionaler Akteure.

Eine sehr wichtige Kooperation

Diese Kooperation sei „sehr wichtig“, heißt es bei der Handwerkskammer. Denn oftmals hätten (potenzielle) Studienabbrecher noch wenig Orientierung, wie ihr Leben weitergehen soll. Für die Erstberatung verweist die Kammer dann öfter an das Berufsinformationszentrum der Bundesagentur für Arbeit, um einen Überblick über die Berufe zu bekommen. Es folgt eine intensive Beratung – und danach womöglich eine Ausbildung im Handwerk oder in der Industrie.

Im Rahmen des Programms bietet die Kammer ein umfangreiches Coaching und die Vermittlung in eine verkürzte Ausbildung an. Zuvor erreichte Credit-Points aus dem Studium können dabei berücksichtigt werden. Rund 25 solcher Beratungsgespräche führt die Handwerkskammer pro Jahr. Etwa zehn Interessenten entscheiden sich danach fürs Handwerk. Die Betriebe seien sehr zufrieden mit den Leistungen der Ex-Studenten, heißt es. Männer entscheiden sich oft für Metall- und Elektroberufe, Frauen hingegen (fast ausschließlich) für eine Tischlerausbildung.

Wie gut Switch funktioniert, zeigen zwei Beispiele. Serdar Edem hat ursprünglich Maschinenbau studiert und kam dann als Azubi zu Weber Metallgestaltung in Aachen. Dort machte er seinen Meister und erwarb zusätzlich seinen Abschluss als „Handwerksdesigner“. Seit einiger Zeit ist der Maschbau-Student von einst Geschäftsführer der Firma. Und mit Jonathan Meyer kommt sogar Deutschlands Tophandwerker in seiner Branche aus dem Switch-Programm. Auch er hatte einmal Maschinenbau an der RWTH Aachen belegt, wechselte dann als Auszubildender zu D.N.performance in Alsdorf. Im Leistungswettbewerb des Handwerks schlug Meyer im vergangenen Jahr die Konkurrenz aus dem Feld und wurde Deutscher Meister im Bereich „Feinwerkmechanik Fachrichtung Zerspanung“. Heute arbeitet er in einem Betrieb in seiner ostwestfälischen Heimat Bünde. Und denkt schon an seinen Techniker oder den Meisterbrief.

Interessenten wenden sich per E-Mail an ralf.eylmanns@hwk-aachen.de, Telefon 0241 471 162

AACHEN Große Höhen und mitunter schlechtes Wetter: Zum Arbeitsalltag von Christian Hinz gehört beides dazu. Der 31-Jährige ist Gerüstbaumeister. „Ich war schon immer hibbelig und gern draußen“, erzählt er. „Den ganzen Tag im Büro zu sitzen, das wäre nichts für mich.“

Mit seinen Kollegen baut Hinz gerade ein Fassadengerüst in einem Bochumer Gewerbegebiet ab. Baustellen wie diese sind seit zehn Jahren sein Arbeitsplatz. Reiner Zufall – denn eigentlich wollte er Lehrer werden, hatte ein Studium in Sport und Sozialwissenschaften begonnen. Zum Gerüstbau kam er als Aushilfe in den Semesterferien und war sofort begeistert. „Es ist Lego für große Jungs“, erzählt er. Schließlich brach er das Studium ganz fürs Handwerk ab. Quereinsteiger wie Hinz sind für das Handwerk eine wichtige Zielgruppe.

Abiturienten entscheiden sich nur selten für eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb. Mit speziellen Beratungsangeboten für Studienabbrecher sollen diese aber doch noch fürs Handwerk gewonnen werden. Ein Umstieg bringe viele Vorteile: Wer ein Abitur oder Fachabitur mitbringt, könne seine Ausbildung um bis zu ein Jahr verkürzen. „Unter Umständen kann zusätzlich die Abschlussprüfung um ein halbes Jahr vorgezogen werden“, erklärt Philipp Kaczmarek von der Handwerkskammer Dortmund. In überschneidenden Fächern sei gegebenenfalls auch die Anrechnung von Inhalten möglich. „Aber das Handwerk lebt eben auch vom Praktischen“, sagt Kaczmarek weiter.

Genaue Zahlen gibt es nicht

Wie sich Studierende nach einer Beratung letztlich entscheiden, ist allerdings kaum nachzuverfolgen. Konkrete Zahlen zu Ausbildungsvermittlungen könnten dadurch von den Handwerkskammern nicht erhoben werden. Auch für die Universitäten sind die Karrierewege ihrer Studierenden nicht eindeutig nachvollziehbar. Ob ein Student nach einer Exmatrikulation an eine andere Hochschule wechselt, eine Ausbildung beginnt oder ohne Abschluss in einen Beruf einsteigt, wird nirgendwo erfasst.

Fest steht allerdings: Knapp ein Drittel aller Studierenden in Deutschland beendet das Studium ohne Abschluss. Die Zahlen dazu erhebt das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), zuletzt wurden 2022 neue Ergebnisse vorgestellt. 28 Prozent der Bachelor-Studierenden brechen demnach vorzeitig ab, bei den Master-Studierenden sind es 21 Prozent.

Für NRW hat das DZHW Studienabbrecher zu ihren Beweggründen befragt. In der 2021 veröffentlichten Studie gaben die Befragten an, Gründe für Studienzweifel seien vor allem Leistungsdruck und mangelndes Interesse am Studienfach, aber auch finanzielle oder familiäre Schwierigkeiten gewesen. Auch der Wunsch nach praktischer Arbeit wurde als Grund genannt.

Unter dem Projekttitel „Next Career“ fördert das Ministerium für Kultur und Wissenschaft Beratungsangebote an 20 NRW-Hochschulen sowie die überregionalen „Thementage Studienzweifel“. In der Region mit ihren rund 60.000 Studenten gibt es seit Jahren „Switch“ – ein gemeinsames Angebot der Handwerkskammer Aachen, der Industrie- und Handelskammer Aachen, der Stadt Aachen, der Bundesagentur für Arbeit und zahlreicher regionaler Akteure.

Eine sehr wichtige Kooperation

Diese Kooperation sei „sehr wichtig“, heißt es bei der Handwerkskammer. Denn oftmals hätten (potenzielle) Studienabbrecher noch wenig Orientierung, wie ihr Leben weitergehen soll. Für die Erstberatung verweist die Kammer dann öfter an das Berufsinformationszentrum der Bundesagentur für Arbeit, um einen Überblick über die Berufe zu bekommen. Es folgt eine intensive Beratung – und danach womöglich eine Ausbildung im Handwerk oder in der Industrie.

Im Rahmen des Programms bietet die Kammer ein umfangreiches Coaching und die Vermittlung in eine verkürzte Ausbildung an. Zuvor erreichte Credit-Points aus dem Studium können dabei berücksichtigt werden. Rund 25 solcher Beratungsgespräche führt die Handwerkskammer pro Jahr. Etwa zehn Interessenten entscheiden sich danach fürs Handwerk. Die Betriebe seien sehr zufrieden mit den Leistungen der Ex-Studenten, heißt es. Männer entscheiden sich oft für Metall- und Elektroberufe, Frauen hingegen (fast ausschließlich) für eine Tischlerausbildung.

Wie gut Switch funktioniert, zeigen zwei Beispiele. Serdar Edem hat ursprünglich Maschinenbau studiert und kam dann als Azubi zu Weber Metallgestaltung in Aachen. Dort machte er seinen Meister und erwarb zusätzlich seinen Abschluss als „Handwerksdesigner“. Seit einiger Zeit ist der Maschbau-Student von einst Geschäftsführer der Firma. Und mit Jonathan Meyer kommt sogar Deutschlands Tophandwerker in seiner Branche aus dem Switch-Programm. Auch er hatte einmal Maschinenbau an der RWTH Aachen belegt, wechselte dann als Auszubildender zu D.N.performance in Alsdorf. Im Leistungswettbewerb des Handwerks schlug Meyer im vergangenen Jahr die Konkurrenz aus dem Feld und wurde Deutscher Meister im Bereich „Feinwerkmechanik Fachrichtung Zerspanung“. Heute arbeitet er in einem Betrieb in seiner ostwestfälischen Heimat Bünde. Und denkt schon an seinen Techniker oder den Meisterbrief.

Interessenten wenden sich per E-Mail an ralf.eylmanns@hwk-aachen.de, Telefon 0241 471 162