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Handwerk kämpft um Azubis

Veröffentlicht am 15.01.2018 in Arbeit und Wirtschaft

Nachwuchsmangel

Nachwuchs. Ein Problem (nicht nur) des Handwerks

Längst ist ein Kampf um die besten Köpfe entbrannt. Die ganze Wirtschaft umwirbt den Nachwuchs. 

Ein Wirtschaftszweig, der schon immer den eigenen Nachwuchs ausgebildet hat, steht nun unverschuldet unter Druck. Bei jedem Ausbildungs- Jahrgang wird das Werben um Nachwuchs schwerer. Auf lange Sicht gefährdet das die Versorgung der Bevölkerung (Und der Industrie!) mit Handwerks- Dienstleistungen. Trotz Image- Kampagne und vielfachen Bemühungen ist das Ansehen des Handwerks als Ausbildungsplatzgeber bei den jungen Leuten verbesserungswürdig. Aber Das Handwertk läßt sich was einfallen. Dazu ein Bericht im Spiegel

 

Aus: Spiegel, Mittwoch, 10.01.2018

Ein junger Mann sitzt streng gescheitelt an seinem Schreibtisch, trägt Krawatte, Anzug und Brille. Die Sekretärin bringt Aktenordner ins Büro und hält ihm den Telefonhörer ans Ohr. Dann rastet er plötzlich aus, reißt sich den Anzug vom Leib und springt in eine Tischlerwerkstatt, wo er sich offenbar viel wohler fühlt. Mit Werbespots wie diesem und einer groß angelegten Imagekampagne aus Plakaten, Social-Media-Aktionen und aufgemotzten Websites versucht das Handwerk schon seit einigen Jahren sein Image aufzupolieren.

Denn obwohl die Auftragsbücher voll sind, die Kunden wochenlang auf Handwerker warten müssen und Mitarbeiter eingestellt werden könnten, fehlt es an einer wichtigen Ressource: Auszubildende. Im Ausbildungsjahr 2016/17 blieb laut jüngsten Zahlen des Bundesinstituts fürs Berufsbildung jede zehnte Ausbildungsstelle im Handwerk unbesetzt. Bei etwa 153.000 angebotenen Stellen fanden sich für 15.298 Stellen keine Lehrlinge. Acht Jahre blieben lediglich 4576 Stellen unbesetzt.

Damit die Lücke nicht noch größer wird, müssen die Handwerkskammern nicht nur gegen den demografischen Wandel kämpfen - sondern vor allem gegen das negative Image der Ausbildung. "Gerade bei Abiturienten liegt der höhere Bildungsabschluss im Trend", sagt Thomas Götze, Leiter der Ausbildungsberatung der Handwerkskammer Dresden.

Das kann auch Azubi Max Geithner nachvollziehen: "Viele wissen nach dem Abi nicht, was sie beruflich machen wollen, deswegen gehen sie erst einmal studieren." Auch Geithner begann zunächst ein Chemiestudium, brach es aber wieder ab, weil ihm der Stoff zu kompliziert wurde. Nun absolviert der 24-Jährige eine Ausbildung zum Hörakustiker. Die Arbeit mache ihm Spaß, weil er oft in Kontakt mit Kunden sei und im Gegensatz zum Studium seine Erfolge hier sehe.

"Es muss einen Berufsbildungspakt geben"

Damit Schüler besser über Ausbildungen informiert werden, fordert der Zentralverband des Handwerks (ZDH), die Berufsorientierung auszuweiten, nicht nur an Stadtteilschulen, sondern auch an Gymnasien. "Vielfach haben die Schüler keine Vorstellung davon, was in den über 130 Ausbildungsberufen im Handwerk alles möglich ist", heißt es vom Zentralverband.

Aber auch die Politik müsse eingreifen und die Berufsbildung finanziell unterstützen. Nach dem Hochschulpakt "muss es nun einen Berufsbildungspakt geben", fordert der ZDH. "Die Politik soll die berufliche Exzellenz mit vergleichbar viel Geld fördern wie bereits die akademische Exzellenz."

Mit diesem Geld sollen Berufsschulen besser ausgestattet und die Lehre digitalisiert werden. Außerdem sollen Exzellenzzentren entstehen, in denen sich Meister sowie Lehrer fortbilden können. Neben dem Verband spricht sich die FDP als einzige Partei explizit für einen "Berufsbildungspakt" aus. Damit soll die Qualität der Ausbildung verbessert und die Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Bildung erreicht werden, wie es auf der Website der Partei heißt.

Das Berufsabitur kombiniert Abitur und Ausbildung

Um das Ungleichgewicht zwischen akademischer und beruflicher Bildung auszugleichen, testen die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen seit diesem Schuljahr das sogenannte Berufsabitur, das der ZDH mit der Kultusministerkonferenz entwickelt hat. Hier machen Jugendliche in vier Jahren nicht nur das Abitur, sondern zugleich eine Ausbildung. Nach den Vorstellungen des Zentralverbands soll es zudem mehr duale Studiengänge geben, bei denen Auszubildende ihren Gesellenbrief und einen akademischen Abschluss erlangen können. Es müsse auch mehr triale Studiengänge geben, bei denen junge Menschen zusätzlich den Meisterbrief erlangen können.

Niedersachsen hat bereits eine Meisterprämie eingeführt und zahlt denjenigen, die ihre Meisterprüfung erfolgreich abschließen, 4000 Euro. Bundesländer wie Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin locken mit einer Meistergründungsprämie und zahlen Meistern, die einen Betrieb gründen oder übernehmen mehrere Tausend Euro. Und die Handwerkskammer Hamburg fordert, dass die Meisterausbildung wie ein Studium gebührenfrei sein soll - und zwar bundesweit. Die Förderung für Meister wurde zwar vor eineinhalb Jahren erhöht, dennoch wird bislang nur ein Teil der Ausbildungskosten übernommen.

Die Handwerkskammern setzen seit einigen Jahren auch vermehrt auf Schul- und Jugendberater, die jungen Menschen helfen sollen, sich im Ausbildungswirrwarr zurechtzufinden - so wie Vanessa Hupe und Michael Appich. Die beiden stehen oft in Schulen oder auf Messen hinter einem Tisch voller Flyer und Broschüren, halten Vorträge, beantworten Fragen, reden mit Eltern, organisieren Workshops mit Unternehmen, Speeddatings mit Handwerkern, Praxiskurse bei Innungen, Fortbildungen und Praktika für Lehrer.

"Wir lassen die Schüler bei einem Tischler ein Vogelhäuschen bauen, beim Bäcker Brötchen backen oder bei Anlagenmechanikern für Sanitär- Heizungs- und Klimatechnik zusehen, wie man ein gebrochenes Rohr repariert. Anschließend reparieren sie das Rohr auch selbst", sagt Hupe.

Und wenn Michael Appich Schülern den Beruf des Fleischers schmackhaft machen will, sagt er Sätze wie: "Es geht hier nicht um Massentierhaltung" oder "Der Beruf befindet sich in einer spannenden Entwicklung". Es sind gut gemeinte Worte, aber vor allem im Fleischerhandwerk fehlt der Nachwuchs. Doch sind es nicht die Unternehmen, die zu hohe Anforderungen haben? Im Gegenteil, heißt es vom ZDH. Einige Betriebe bieten sogar Nachhilfe für die Azubis an, wenn deren schulische Leistungen zu schlecht sind.

"Für dieses Geld würde ich nicht arbeiten gehen"

Fleischermeister Michael Müller aus Hattingen findet Schulnoten nicht so ausschlaggebend. Er glaubt, dass der Leistungswille bei jungen Menschen nicht mehr so hoch ausgeprägt sei, weil sie die Freude an einer guten persönlichen Leistung zu selten erlebt hätten. Auch das Image des Berufs sei schlechter geworden: "Wenn jemand vor 30 Jahren viel gearbeitet hat, nahm er auch viel Geld mit nach Hause und hatte ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Heute höre ich immer mehr den Spruch, 'für dieses Geld würde ich nicht arbeiten gehen'".

Müller hat nicht ganz unrecht: Nach den neuesten Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung verdienen Azubis in einigen ausgewählten Berufen im Durchschnitt 518 Euro (Schornsteinfeger) bis etwa 1100 Euro (Beton- und Stahlbetonbauer) im Monat.

Azubi-Löhne: Tops und Flops bei der Bezahlung

Fleischermeister Müller hat auch schlechte Erfahrungen mit Kandidaten gemacht: "Mich haben Bewerber im Vorstellungsgespräch geduzt, andere haben sich nicht ordentlich hingesetzt, sondern eher hingefläzt. Wenn ich im Bewerbungsgespräch sehe, dass sich die jungen Menschen nicht benehmen können, dann bilde ich sie nicht aus, denn so etwas kann ich nicht geradebiegen."

Ausbildungsberater Appich sagt, man werde nie alle Lehrstellen besetzen können. "Einige Jugendlichen wollen zwar eine Ausbildung machen, aber dann ist die Motivation doch nicht so hoch." Manchen Unternehmen reichten die Fähigkeiten und Noten der Bewerber auch nicht aus - da passten Schulabschluss und Berufswunsch nicht zusammen. Und auch Flüchtlinge könnten den Fachkräftemangel nicht lösen oder die Lücke zwischen Lehrstellenangebot und -nachfrage füllen, weil sie nicht gut genug Deutsch sprechen könnten.

Wenn man Appich fragt, wie er Jugendliche für eine Ausbildung begeistern will, sagt er ihnen, dass sie damit keine Entscheidung fürs Leben träfen, sondern nur für den jetzigen Zeitpunkt. Denn viele Jugendliche schrecken vor einer Festlegung für die nächsten Jahrzehnte zurück. Appich spricht dann vom "Fundament für die Karriere". Danach könnten sie immer noch entscheiden, ob sie den Meister machen, ein Unternehmen gründen oder ein Studium anschließen.