Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD, AGS:

Für eine soziale, nachhaltige und ökologische Wirtschaft

Handwerk und FES lädt nach Aachen ein

Veröffentlicht am 12.11.2016 in Arbeit und Wirtschaft

Aachen, 3. November 2016
Zukunft von Handwerk und Mittelstand
Der Mittelstand ist der treibende Pfeiler der deutschen Wirtschaft. Doch besonders dem Handwerk fehlt der Nachwuchs: Bis 2020 sollen 1,8 Millionen Fachkräfte fehlen. Dabei gilt das duale Ausbildungssystem als das deutsche Erfolgsmodell. Auch die Integration der Geflüchteten in die Betriebe soll voran gebracht werden.
Doch was sind überhaupt die Gründe für den Fachkräftemangel? Was kann getan werden, um manche Bereiche des Handwerks und des Mittelstands attraktiver zu gestalten, damit hier die Bewerber_innenzahlen wieder steigen? Wie kann die Berufsausbildung in Zeiten der Akademisierung mehr wertgeschätzt werden? Und wie können die Betriebe Geflüchtete in Deutschland integrieren?

 

Zu dieser Veranstaltung ein Bericht von  Vera Verhey (FES)

Die Zukunft von Mittelstand und Handwerk

Am 3. November 2016 lud die Friedrich- Ebert- Stiftung zur Podiumsdiskussion in die Handwerkskammer Aachen ein, um über die Zukunft von Mittelstand und Handwerk in Nordrhein- Westfalen zu debattieren. Der Fachkräftemangel und die Frage, wie Unternehmen und Politik ihm entgegen wirken können, standen im Mittelpunkt der Diskussion.

Die Impulsvorträge übernahm Daniela Jansen MdL. Da Dr. Rosemarie Kay (Institut für Mittelstandforschung) kurzfristig verhindert war, hatte sich Daniela Jansen bereit erklärt, auch Teile des Vortrages von Frau Kay zu übernehmen.

Da es gegenwärtig keinen allgemeinen Fachkräftemangel in Nordrhein- Westfalen gebe, war eine der Kernaussagen aus dem von Rosemarie Kay übernommenen Vortrag. In einzelnen Regionen und bestimmten Branchen wie beispielsweise dem Dienstleistungssektor sei der Mangel an qualifiziertem Personal aber durchaus festzustellen.                                                                                                       

Megatrends im Handwerk

In ihrem eigenen Impulsvortrag hob Jansen die vier Megatrends hervor, die das Handwerk in NRW derzeit bestimmen:     

  •       Der demografische Wandel
  •       Digitalisierung und Vernetzung
  •       Leben und Arbeiten in der Wissensgesellschaft        
  •       Zuwanderung und Flucht  

An Jansens Einführung schloss sich die Podiumsdiskussion an, zu der Klaus Jeske (Pressesprecher der Agentur für Arbeit Aachen- Düren), Felix Kendziora (Vizepräsident der Handwerkskammer Aachen) und Bäckermeisterin Maria Scheufens (Gewinnerin VISIONplus 2016) Daniela Jansen auf das Podium folgten. Wie können wir den Mythos Fachkräftemangel entgegenwirken?“ war die erste Frage, die Moderatorin und Journalistin Nina Leßenich an die Runde richtete. Klaus Jeske klärte zunächst darüber auf, dass der Begriff des Fachkräftemangels aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit gar nicht zutreffe. Zum einen gebe es große Potentiale bei den Arbeitnehmer_innen, die die Betriebe nicht ausschöpften. Außerdem stehe dem Arbeitsmarkt eine große Zahl an Langzeitarbeitslosen, Schwerbehinderten oder Frauen, die nach längerer Pause wieder in den Beruf einsteigen wollen, zur Verfügung. Jeske appellierte an die Unternehmer, die Beratungs- und Vermittlungsangebote der Arbeitsagenturen wahrnehmen.  

Durchlässigkeit im Beruf  

Felix Kondziera wies auf ein anderes gesellschaftliches Phänomen hin: "Alle jagen uns in die Akademisierung. Wo steht geschrieben, dass junge Leute studieren müssen, wenn sie das Abitur gemacht haben?“  Im Handwerk werde derzeit der Aufbau eines beruflichen Karrierewegs parallel zur akademischen Bildung diskutiert, der ebenfalls in Stufe 8 des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) mündet und mit der Promotion bei Akademikern vergleichbar wäre. Scheufens hob außerdem hervor, dass die Durchlässigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung noch leichter gestaltet werden müsste.                                                                                                                          

Insgesamt müsse aber viel früher angesetzt werden, waren sich die Expertinnen und Experten einig. Denn viele rutschten bereits bei der Berufswahl durchs Raster und schafften den Einstieg in den Betrieb erst gar nicht. „Warum schaffen die Betriebe das nicht?“ fragte die Moderatorin provokant.

Der Vizepräsident der Handwerkskammer Aachen, Felix Kendziora, sieht das Problem im derzeit noch zu geringen Leidensdruck der Betriebe:„Wer Fachkräfte haben will, muss sich öffnen und auch die Angebote der Agenturen für Arbeit annehmen!“

Maria Scheufens stellte das Problem aus Unternehmerinnensicht dar. Gefragt sei in erster Linie der Ehrgeiz der Arbeitgeber_innen, neue Mitarbeiter_innen anzulernen und ihnen die dafür nötige Zeit einzuräumen. Die Gefahr, dass ein/e qualifizierte/r Mitarbeiter_in das Unternehmen nach kurzer Zeit wieder verlässt, bestehe natürlich trotzdem.

Als einen immer wichtiger werdenden Punkt, um junge Leute im Betrieb zu halten, stellte Daniele Jansen das Thema Work- Life- Balance und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf heraus.

Fachkräfte durch Zuwanderung?

Jansen machte deutlich, dass es seitens der Unternehmen ein deutliches Interesse daran gebe, geflüchtete Fachkräfte einzustellen. Da es bei einer großen Zahl noch Sprachdefizite gebe, sei derzeit aber noch Geduld gefragt. „Mit den Geflüchteten kommt ein Wahnsinnspotential für die unterschiedlichsten Branchen auf uns zu. Diese Chance müssen wir ergreifen!" unterstützte Felix Kondziera die Aussage.

Wie die Zusammenarbeit mit jungen Geflüchteten in der Praxis aussehen kann, berichtete Maria Scheufens aus eigener Erfahrung. Die Unternehmerin beschäftigt einen jungen Nigerianer als Praktikanten. "Derzeit durchläuft er die einjährige Einstiegsqualifizierung über das Arbeitsamt. Anschließend kann er die reguläre Ausbildung in unserer Bäckerei aufnehmen.“ Da die sprachliche Verständigung anfangs schwierig war, versuchen Scheufens und ihr Praktikant derzeit Unterstützung durch die Arbeitsagentur in Form eines Sprachkurses zu bekommen.                          

Reger Austausch mit dem Publikum

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion stiegen viele der Teilnehmer_innen in die engagierte Diskussion ein, die nach Ende des offiziellen Programms noch fortgesetzt wurde